Bauboom: Auch die Kanalsanierung leidet unter dem Mangel an Fachkräften
9. Stuttgarter Runde, Expertenforum zur Kanalsanierung
Bei der 9. Stuttgarter Runde ging es nicht nur um Betonkorrosion und marode Kanäle, sondern auch um die aktuellen Probleme der Bauwirtschaft
Die richtige Technik steht naturgemäß im Vordergrund, wenn es um die Sanierung baufälliger Abwasseranlagen geht: „Kanalsanierung – Werterhalt durch Wissensvorsprung“ lautete daher das Motto der 9. Stuttgarter Runde Expertenforum zur Kanalsanierung. Dabei wurde deutlich, dass es die eine richtige Technik allerdings nicht gibt. Vielmehr hängt das Vorgehen von den jeweiligen Gegebenheiten ab, insbesondere von der Beschaffenheit des Abwassers.
Verhängnisvolle Betonkorrosion
Besonders deutlich wird dies bei der Betonkorrosion, wie Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der TU Kaiserslautern berichtete. Verursacht wird sie in Abwässerkanälen vor allem von der sogenannten biogenen Schwefelsäure-Korrosion: Sie führt dazu, dass der Beton massiv angegriffen wird – Körkemeyer belegte dies mit dramatischen Bildern geschädigter Kanäle und Schächte. Schon heute seien etwa zehn Prozent der Kanalschäden auf Probleme mit den Materialoberflächen zurückzuführen, wobei hier neben Verschleiß vor allem die Korrosion zu nennen sei. Und er betonte, dass dieses Problem künftig noch größer werde, nicht zuletzt wegen der Klimaerwärmung. Hervorgerufen werden die Schäden durch Bakterien, die das im Abwasser befindliche Eiweiß abbauen. Dabei entsteht unter anderem Schwefelwasserstoff, der aus dem Wasser in den Luftbereich des Kanals ausgast. Oberhalb des Abwasserspiegels wandeln Schwefelbakterien den Schwefelwasserstoff letztlich in Schwefelsäure um. Die wiederum schädigt den Beton keineswegs nur an der Oberfläche, sondern entlang feiner Risse weit ins Innere hinein – eine Tatsache, die laut Körkemeyer bei einer Ausschreibung zur Sanierung solchermaßen geschädigter Kanäle unbedingt berücksichtigt werden sollte.
Verschiedene Wege zur Kanalsanierung
In Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten – und hier vor allem vom Säuregrad des Abwassers – kommen dann verschiedene Sanierungsmöglichkeiten in Betracht. Vorteilhaft ist, dass die Betontechnologie in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat. Während herkömmlicher Beton für die dauerhafte Beanspruchung nur für einen pH-Wert von mehr als 6,5 geeignet ist, können – entsprechend teure – Höchstleistungsbetone auch noch bei pH-Werten von 4,5 eingesetzt oder sogar noch saurer eingesetzt werden. Liege der pH-Wert aber dauerhaft unter 3,5, dann kämen nur noch reine kunststoffbasierte Systeme oder die Auskleidung der Rohre mit keramischen oder Kunststoffelementen in Frage, so Körkemeyer.
Wie komplex die Kunststoffchemie ist, die hinter den verschiedenen Linermaterialien steckt, erläuterte Dr. Jörg Sebastian vom Unternehmen SBKS in St. Wendel. Dabei nahm er die Zuhörer mit auf eine Reise durch die Welt der Duroplaste wie etwa Epoxidharz und Polyurethan, der Trägermaterialen wie Glas oder Naturfasern sowie der Füllstoffe wie Titandioxid oder Aluminiumhydroxid – um dann zu dem Schluss zu kommen: „Die Mischung macht’s“. Daher habe auch jedes Sanierungsmaterial aufgrund seiner eigenen Materialzusammensetzung eigene Kenndaten in den Datenblättern und Zulassungen. Weiterhin entscheidend für die Güte des Liners sei der Polymerisationsgrad, der wiederum abhängig vom Harzsystem sei. Als Fazit seines so unterhaltsamen wie informativen Vortrags zitierte der Chemiker Jörg Sebastian den Schriftsteller Kurt Tucholsky: „Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel muss fürs Leben halten.“
Begehrte Fachkräfte
Für die Sanierung maroder Kanäle braucht man aber nicht nur die passende Technik und die richtigen Materialien, sondern auch Planer und Firmen, welche die anfallenden Arbeiten fachgerecht erledigen können. Solche Experten zu finden, wird aber immer schwieriger – weshalb sich die Stuttgarter Runde auch mit einem eher ungewöhnlichen Thema befasste: „Bau-Boom ohne Personal – Wie reagiert die Bauwirtschaft auf diesen Engpass“. Die Referentin Tamara Heldmaier von der Firma Züblin überraschte dabei die Symposiumsteilnehmer mit einer Smartphone-Direktumfrage während ihres Vortrags zu deren praktischen Erfahrungen mit diesem Problem: Gibt es Schwierigkeiten, offene Stellen mit geeigneten Kandidaten zu besetzen? Bestehen konkrete Pläne, dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken?
Auch wenn die Umfrage naturgemäß nicht repräsentativ war, so bestätigte sie doch den allgemeinen Trend: Bei der Neubesetzung von Stellen gibt es beachtliche Schwierigkeiten. Hinzu kommen hohe Kosten: Im Durchschnitt rechnen Experten mit 44.500 Euro pro Neubesetzung. Der Baubranche macht dabei besonders der hohe Bedarf zu schaffen, weil allein 2018 der Umsatz um elf Prozent gestiegen ist. 2019 sollen 18.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden – wenn sie denn gefunden werden.
Geringe emotionale Bindung an den Arbeitgeber
Ein weiteres gravierendes Problem ist die geringe Mitarbeiterbindung. Nur 15 Prozent der Beschäftigten haben eine hohe emotionale Bindung an ihr Unternehmen, der Rest fühlt sich nur gering oder gar nicht an seinen Arbeitgeber gebunden. Umso wichtiger sei es für die Firmen, mehr zu tun, um die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, betonte Tamara Heldmaier. Dann präsentierte sie sieben ausgewählten Handlungsempfehlungen, was die Unternehmen tun können, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Dazu zählen Analysen der Altersstruktur und der Schlüsselpositionen des Unternehmens wie auch der Gründe für Kündigungen, um Handlungsbedarf zu erkennen. Wichtig sind auch Entwicklungsgespräche mit den Mitarbeitern, nicht zuletzt um eigenes Personal auf dem Weg zu Schlüsselpositionen zu begleiten. Vor allem aber gilt es, die Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen, etwa durch flexiblere Arbeitszeitmodelle. Dies trägt auch dazu bei, dass neue Mitarbeiter durch die Empfehlung von Firmenangehörigen vermittelt werden – der wohl beste und preisgünstigste Weg, kompetentes Personal zu finden.